Moby Dick – Filmkritik & Rezension

Das Weiße im Auge. John Hustons Verfilmung von Melvilles archetypischem Roman. Eine neue Mediabook-Edition würdigt den Klassiker. (Fluxkompensator)

Ein Archetyp beschreibt die Urform des Seienden. Von den bekannten zwölf Archetypen treffen fast alle auf die Figuren in Herman Melvilles geradezu biblischer Geschichte zu: Der Schöpfer, Der Herrscher, Der Zerstörer, Der Suchende, Der Krieger, Der Narr, Der Magier, Der Gebende, Der Liebende, Der Verwaiste, Der Unschuldige, Der Weise. Vom Schöpfer, dem Herrgott, ist zu jeder Zeit in „Moby-Dick“ (1951) die Sprache: alles muss gesegnet sein, kirchlich beauftragt und betreut, Bibeln werden verteilt, donnernde Reden von der Kanzel gelassen, selbst viele Namen sind biblisch. Auf dem Walfänger-Segelschiff „Pequod“ finden sich dann gebündelt sämtliche weiteren Archetypen – mit Kapitän Ahab selbst als Herrscher, Krieger, Zerstörer, Suchender, Narr und sogar Magier in Personalunion. Letzteres kommt noch in Hustons Film (1956) ganz wunderbar heraus, wenn Ahab (Gregory Peck) in einer der bemerkenswertesten Szenen seine Mannschaft mit Rum und Gold unwiderruflich verhext.

Moby Dick schließlich wird auch im Film immerzu als „der gefährlichste von allen“ bezeichnet, das Bild des Wals eilt seiner manifestierten Erscheinung als rasendes Tier noch in verkleinerten Abbildern voraus: gleich zu Beginn als Wappentier auf einem Schild außerhalb der Gaststätte, in der der Erzähler Ismael (Richard Baseheart) auf die ersten Matrosen trifft, dort sogleich wieder in Form eines düsteren Gemäldes, das im Blitzlicht des Gewitters durch ein Fenster hindurch schauerlich erhellt wird, und schließlich in den Büchern (und ihren Zeichnungen) innerhalb der Geschichte selbst, wenn diese vom Walfang und den vorangegangenen Abenteuern auf hoher See berichten. Dadurch entwickelt sich der Wal zu einem archetypischen Bild im Kopf der Lesenden und Zuschauenden, durch Impressionen und Vorahnungen erwächst in unserem Bewusstsein ein Bildnis, das nur darauf wartet, endlich auszubrechen und physische Gestalt annehmen zu dürfen. Ganz ähnlich wie Moby Dick wird auch sein menschliches Gegenüber, Kapitän Ahab, etabliert. Zwei (überlebens-)große Rivalen, deren Wege sich früher oder später auf den Punkten einer Seekarte einfach kreuzen müssen. Ahabs Wahn wird dabei schnell offensichtlich: „Ich würde sogar die Sonne angreifen, wenn sie mir etwas zuleide täte“, raunt er einmal völlig erbost seinem ersten Steuermann zu, der sogleich zurückweicht.

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