Die Brut – Mediabook

Sie wächst weiter. David Cronenbergs persönlichster Film in der definitiven 4K-Restaurierung mit meinem ausführlichen Booklet. (PLAION Pictures)

Scheidungsvater Frank (Art Hindle) teilt sich das Sorgerecht für seine Tochter Candy mit deren Mutter Nola, die in einer psychiatrischen Klinik lebt. Als er bei Candy Anzeichen von Misshandlungen feststellt, verdächtigt er seine Ex-Frau, bei der Candy am Wochenende auf Besuch ist – und hinterfragt das zwielichtige „Somafree Institute“ des Dr. Raglan und dessen unorthodoxe Methoden. Scheinbar entstehen dort aus den Aggressionen seiner Patienten wahre Kreaturen des Bösen.

Horror-Meister David Cronenberg ließ sich von seiner eigenen Scheidung zu diesem ikonischen Schocker inspirieren, in dem die Untiefen der Psychologie monströse Gestalt annehmen. Nach fast 30 Jahren auf dem Index erscheint der Klassiker des Body Horror(s) mit Samantha Eggar und Oliver Reed nun erstmals als UHD-Edition. Neben Audiokommentaren enthält das Set eine separate Blu-ray mit Stunden an bewährtem und neuem Bonusmaterial (3 Discs).

Für Die Brut (The Brood, 1979), Cronenbergs wohl wichtigsten Film, der sein gesamtes Schaffen prägte, habe ich mich sehr ausführlich mit den Themen und Motiven im Booklet auseinandergesetzt. Auf über 40 Seiten bietet sich den Lesern eine umfassende und tiefgehende Lektüre, während die Bilder noch lange nachwirken. Im Folgenden als exklusiver Auszug der Beginn meines Booklets:

„Ich hasse dich! Aber ich kann dich nicht hassen, weil ich dich liebe.“

Vorbemerkung

Die Brut (The Brood, 1979) ist David Cronenbergs vielleicht wichtigster Film, in jedem Fall einer seiner besten. Das wurde bei seinem Erscheinen vielfach (noch) nicht so gesehen. Etliche Kritiker, u. a. der berühmte Roger Ebert, bezeichneten ihn als langweilig, abstoßend oder einfach nur überflüssig. Über die Jahre sollte der Film wachsen, wie die titelgebende Brut selbst. Spätestens seit den 2000er-Jahren, als man Cronenberg durchweg reflektierend einordnete, seine filmischen Themen und Motive als Gesamtkunstwerk betrachtete, gilt Die Brut als prägend für sein folgendes Schaffen, als signature film. Seither ist viel über den Regisseur geschrieben worden, den Master of Body Horror, den Baron of Blood, dessen fleischlicher Exzess auf der Leinwand jedoch stets im Zusammenhang mit dem Geist, der gedanklichen Kraft, gesehen werden muss.  Fleisch und Geist sind bei Cronenberg untrennbar eins. Die Brut sticht in seinem Frühwerk, umgeben von den kühlen ersten (Kurz-)Filmen, dem fahrigen Körperhorror aus Shivers (1975) und Rabid (1977) sowie dem psychotechnischen Rausch in Scanners (1981) und Videodrome (1983), markant heraus, nicht zuletzt auf emotionaler Ebene. Die anderen Filme, mit mehr Action und Effekten, mögen populärer sein, aber Die Brut geht tiefer. Lange überschattet von der Zensurgeschichte und Ära der video nasties entfaltet sich Die Brut heute als das, was er schon immer war: als zeitloses, klassisches und zutiefst berührendes Horror-Drama. Mit Bildern, die man nicht mehr vergisst.

Die Fans, die diese besondere Edition nun in ihren Händen halten und auch diesen Text lesen, muss man nicht mehr überzeugen. Aus ganz eigenen Gründen ist Die Brut für sie wichtig. Es sei bereits an dieser Stelle eine Bemerkung gestattet, die aus meiner Sicht insbesondere und vornehmlich auf Die Brut zutrifft: Der Film, motiviert durch die private Geschichte (Trennung) des Regisseurs, von ihm aus einem tiefen inneren Drang geschrieben und gedreht, spricht wohl diejenigen noch mehr an, die selbst ein ähnliches Schicksal durchlebt haben. Die Brut ist sehr persönlich, ja schmerzhaft nah, gerade im Vergleich mit den bereits erwähnten Werken. Dieser Film dringt auf zwischenmenschlicher Ebene bis ins Mark, er erschüttert mit seinem Schmerz, lässt uns mitfühlen mit seiner Kälte und Verlorenheit, erschlägt uns mit seiner psychischen und körperlichen Gewalt – und lässt uns schließlich Zeuge von etwas Neuem werden, dem neuen Fleisch, neuem Leben. Wenn man selbst nicht nur einmal (als Kind) sondern gleich zweimal (als Elternteil) eine schmerzhafte Trennung miterlebt hat, dann findet man in Die Brut wiederholt einen Vertrauten. Die Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit von Cronenbergs Geschichte bleibt einem dann unmöglich verborgen. Hierzu schafft der Ausnahmekünstler prägende Bilder und Motive, die sich fest ins Gedächtnis einbrennen. Und die wichtig bleiben für seine gesamte Karriere.

Im Folgenden möchte ich in zwei Kapiteln ästhetisch-thematisch nah am Film bleiben, um im mittleren, dritten, Kapitel zum vollendeten Motiv der filmischen Brut zu kommen, zu den Kindern des Zorns, wie   es die Berliner Filmkritikerin Annette Kilzer einmal sehr treffend formulierte.  Daraufhin wird kurz die Produktionsgeschichte, einschließlich Interviews der Beteiligten, von Cronenbergs frühem Meisterwerk in den Blick genommen, um im finalen Kapitel das analytische Potenzial dieses Zäsurfilms abrundend und verdichtet darzulegen. Das neue Fleisch in all seiner Pracht.

Dem vorangehen sollte, wie eigentlich immer, aber bei Die Brut ganz ausdrücklich, eine unbeeinflusste, offene (Neu-)Sichtung, um die Stimmung und die Reize des Films bestmöglich in sich auf- und dann mitzunehmen. Wie gesagt: Er wächst stetig weiter.

(c) Stefan Jung

Stefan Jung (2025). Kinder des Zorns. Fleisch und Wut in David Cronenbergs Die Brut.

PLAION Pictures